Seine Bedeutung für Bad Köstritz
1925 wurde Werner Sylten Pfarrer und Leiter des Thüringer Frauenasyls in Bad Köstritz, einer Fürsorgeeinrichtung für sozial gefährdete minderjährige Mädchen.
„Im Januar 1925 übernimmt Sylten ein Asyl, das vor dem Aus stand. Der eindrucksvolle Bericht des Geraer Sozialdezernenten Hermann Drechsler von 1932 über seinen unangemeldeten Besuch 1919 spricht für sich. Die Schwestern – oder sollte man lieber von Aufseherinnen sprechen? – aßen in Gegenwart der Insassen an weißgedeckten Tischen Fleisch, Gemüse und Obst, während die Zöglinge der Anstalt gleichzeitig einen undefinierbaren Fraß vorgesetzt bekamen. Die Akten des LKA (Landeskirchenamt) zum Heim in Köstritz lassen deutlich erkennen, dass die Existenz des Heimes auf dem Spiel stand, weil die Thüringer staatlichen Stellen den Verantwortlichen keinen angemessenen Umgang mit den ihnen Anbefohlenen mehr zutrauten. Auch die Versuche, aus anderen Bereichen außerhalb Thüringens, also vor allem aus der preußischen Provinz Sachsen, Mädchen und junge Frauen zugewiesen zu bekommen, erwiesen sich als nicht sonderlich erfolgreich. Wer heutzutage solche Einrichtungen kennt, leitet oder begleitet, kann wieder ermessen, was das heißt: Die Schließung der Einrichtung, die seit 1896 existierte, lag in der Konsequenz dieser Entwicklung, zumindest wurde sie vom Vorsteher Pfarrer Reuß im März 1924 nicht ausgeschlossen. Wie es dazu kam, dass Werner Sylten als Retter in der Not angesehen und berufen wurde, lässt sich nur aus den objektiven Umständen rekonstruieren. (Landesbischof Christoph Kähler) Noch im selben Jahr heiratete Pfarrer Sylten die Lehrerin und Erzieherin Hildegard Witting. 1926 wurde der erste Sohn Reinhard geboren, 1930 der zweite Sohn Walter. Walter Sylten sagt zu den Erinnerungen an seine Kindheit: "Wir waren eine glückliche Familie. Vater hat stets dafür gesorgt, dass wir fröhlich sind. Er hat viel mit uns gesungen und war oft mit uns in der Umgebung wandern. Von seinen Problemen hat er sich uns gegenüber nichts anmerken lassen, so dass wir lange Zeit unbeschwert aufwachsen konnten."
Im Thüringer Frauenasyl nahm Werner Sylten umfassende Reformen vor. Anstelle einer autoritären Anstaltserziehung begann er fortschrittliche pädagogische Konzepte umzusetzen, veranlasste die Umbenennung des Frauenasyls in „Thüringer Mädchenheim“ und modernisierte die Gebäude.
Das Heim sollte den Mädchen eine familienähnliche Heimat auf der Grundlage einer christlichen Hausordnung bieten. Dazu wurden sie in Familiengruppen mit je einer „Familienmutter“ und getrennten Wohn- und Schlafbereichen untergebracht. Damals war es ein Novum, dass die Bewohnerinnen im Heim eine Berufsausbildung erhielten. Für ihre umfassende Betreuung baute Werner Sylten einen Mitarbeiterinnenstab von ca. 20 kompetenten Erzieherinnen und Lehrerinnen auf. Um den Kontakt mit Ehemaligen zu halten, rief er den monatlich erscheinenden Rundbrief „Grüße aus dem Thüringer Mädchenheim“ ins Leben.
Rückblickend lässt sich sagen: Für die Existenz der Einrichtung und für die jungen Frauen, die dort lebten, waren die Jahre des Wirkens von Pfarrer Werner Sylten in Bad Köstritz ein Segen und von unschätzbaren nachhaltigen Wert. Sicher waren es auch entscheidende Jahre seines persönlichen und familiären Lebens.